Mittwoch, 21. November 2007

Sebastian Plötzgen: "Ordnungsbegriff als hermeneutischer Schlüssel"

Sebastian D. Plötzgen
Der Ordnungsbegriff als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis der Argumentation von George W. Bush und Osma Bin Laden im sog. „war on terror“ bzw. „Dschihad“

Philipps-Universität Marburg
12. November 2007

I. Der Ordnungsbegriff als hermeneutischer Schlüssel

Die folgenden Anmerkungen zum Ordnungsbegriff sollen eine Verständnishilfe – einen hermeneutischen Schlüsse – bereitstellen, um Phänomene wie Religionskriege, terroristische Anschläge aber auch die Reaktion der vordergründig als Opfer erscheinenden Angegriffenen fassbar zu machen.

Ordnung als anthropologische Notwendigkeit
Im sog. ersten Schöpfungsbericht der Bibel heißt es in der Lutherübersetzung „und die Erde war wüst und leer“ – ein Zustand absoluten Chaos. Die Schöpfung ist faktisch nichts anderes als die Überführung des Chaos in Ordnung (Kosmos). Zunächst schafft Gott fundamentale Strukturen: Trennung von Licht und Finsternis, Scheidung zwischen Himmel und Erde. Dann erst Tiere und Pflanzen und den Menschen. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Aus dem totalen Chaos ist eine perfekte Ordnung geworden
Unser Leben ist geprägt von der sich je und je bestätigenden Erfahrung der Wohlgeordnetheit und Prinzipientreue der Welt. Dieses kosmologische Grundvertrauen, ist die Bedingung der Möglichkeit, Leben überhaupt erst als eine Folge intendierter, d.h. von ihrem erwartbaren Zielen her bestimmter, Handlungen bewusst vollziehen zu können. Von einem Vertrauen in die Ordnung der Welt ist zu sprechen, weil wir uns durch nichts garantieren können, dass sich die Welt auch morgen so verhält, wie wir es ihr heute erfolgreich unterstellen. Die Frage nach dem Grund und der Gültigkeit dieser Erfahrung gehört damit zu den anthropologischen Fundamenten, da von ihrer Antwort unsere Selbstbestimmung als in der Lebenserfahrung sich selbst bewusst werdende Wesen unhintergehbar abhängig ist.
Auf den Punkt gebracht: Wir sind darauf angewiesen, dass eine Handlung A in der Regel auch zu einem Ergebnis B führt, d.h., dass sich unsere Umwelt scheinbar rational – d.h. vorhersagbar – verhält. Das bezieht sich nicht nur darauf, dass Naturgesetze immer und überall gültig sind sondern auch auf gesellschaftliche Ordnungen. Wenn ich mich nicht grundsätzlich darauf verlassen kann, dass sich mein Gegenüber so verhält, wie ich es von ihm erwarte, wäre das Leben und Überleben in einer Gesellschaft hochgradig gefährdet und sie würde in absehbarer Zeit auseinander brechen.
Ordnung – in Natur und Gesellschaft – ist eine notwendige Voraussetzung unseres Lebens und es ist von daher nicht überraschend, dass alle Religionen an der Frage ansetzen, warum die Ordnung, die sie in der Welt beobachten existiert und warum sie verlässlich ist.

Zur Legitimation zwischenmenschlicher Ordnung
Diese etwa zwei Meter hohe Basaltstele aus dem 17. Jh. v.Chr. zeigt den sog. Codex Hammurapi, eine der ältesten und umfangreichsten Gesetzessammlungen der Menschheit. Am oberen Ende sieht man links den babylonischen König Hammurapi, wie er vom Sonnengott Schamasch beauftragt wird, die nachstehenden Gesetze zu erlassen, die die grundlegende Gesellschaftsordnung des babylonischen Reiches darstellten. Uns sollen hier nicht die die Gesetze im Einzelnen interessieren, sondern die Tatsache, dass es der König ist, der die Gesetze macht; diese also von ihm abhängig sind. Das ist im Grunde das uns vertraute legalistische Modell.
Eine gänzlich andere Vorstellung findet sich im Alten Testament. Dort erhält das am Berg Sinai lagernde Volk Israel in einem einmaligen Offenbarungsvorgang das göttliche Gesetz unmittelbar von Gott. Mose nimmt es lediglich stellvertretend für das Volk entgegen, er wird aber nicht – wie Hammurapi – von Gott beauftragt selber Gesetze zu erlassen.
Während also bei Hammurapi die Gültigkeit des Gesetzes unmittelbar an den König gebunden ist, ist das alttestamentliche Gesetz immer und überall gültig, weil es direkt von Gott gegeben wurde und somit keiner menschlichen Legitimation bedarf.
„Gesetz“ meint im Alten Orient weit mehr, als wir heute unter Gesetz verstehen. Es setzt nicht nur Strafen für bestimmte Vergehen fest, sondern ordnet die gesamte soziale Sphäre des Menschen. Ja, man ginge kaum falsch darin zu behaupten, dass Gott in der Schöpfung den Kosmos geordnet hat und mit dem Gesetz nunmehr dieselbe göttliche Ordnung auch in der sozialen Sphäre verwirklichen will.
Eine ganz ähnliche Vorstellung finden wir im Islam. Die Bestimmungen des Koran sind nicht von Mohammed gegeben, sondern das direkte, unmittelbare Wort Gottes. Wie das Gesetz vom Sinai ein und für alle mal gültig.[1]
Halten wir fest, dass in Bibel und Koran das Gesetz als von Gott offenbart überzeitlichen Geltungsanspruch erhebt und damit gerade nicht, wie z.B. das deutsche Grundgesetz, eine Bereichsordnung ist, die nur für einen geographisch und/oder ethnologisch limitierten Bereich Gültigkeit haben. Das göttliche Gesetz hat immer und überall Vorrang gegenüber menschlichen Ordnungen.

Zwischenresümee
Wir setzen eine Ordnung immer schon voraus. Diese ist jedoch nicht die einzig denkbare und hochgradig davon abhängig, inwieweit sie sich durchsetzen lässt. Dies forciert die Frage nach ihrer Legitimation, die entweder durch den Konsens derer, die eine bestimmte Ordnung für gut erachten oder durch Rückbindung an ein göttliches Wesen erfolgen kann.
Wenn wir uns jetzt dem Thema Krieg und Terrorismus, insbes. der Frage nach dem sog „gerechten“ Krieg“ zuwenden, dann möchte ich vorschlagen die Überlegungen zur Ordnung als hermeneutischen Schlüssel zu verwenden.

II. Krieg
Terminologische Vorbemerkung
In keiner Religion gilt der Krieg selbst als „heilig“. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Krieg als solcher – d.h. die konkrete leidvolle kämpferische Auseinandersetzung – gottgewollt und von Gott geheiligt wäre. Diese Vorstellung findet sich aber weder in der Bibel, noch im Koran. Wann immer dort von Krieg gesprochen wird, wird dieser als ein notwendiges, gleichwohl im Kern widergöttliches Mittel, zur Erlangung eines gottgewollten Zieles verstanden und ist nicht in sich göttlich oder heilig. M.E. sollte man auf diesen Begriff ganz verzichten. Veröffentlichungen wie diese zeigen hingegen, dass es kaum möglich sein dürfte den Begriff aus der öffentlichen Debatte zu verdrängen; umso wichtiger ist es, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Formel „heiliger Krieg“ suggeriert etwas bezeichnen zu können, was es gar nicht gibt![2]

Zur Theorie des gerechten Krieges
Drei klassische Unterscheidungen
Erstens das ius ad bellum, das Recht zum Krieg. Unter welchem Umständen darf ein Krieg überhaupt angefangen werden? Klassischweise gilt nur das faktische Angegriffenwerden als legitimer Kriegsgrund. D.h. im Umkehrschluss, ein Krieg wird nur dann gerecht, wenn er auf einen kriegerischen Angriff reagiert.[3]
Zweitens das ius in bellum, das Recht im Krieg. Diese Bestimmung zielt darauf, beide Kriegsparteien auf bestimmte Spielregeln während des Krieges festzulegen: In der Regel Schutz der Zivilbevölkerung und Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel.[4]
Drittens das ius post bellum, das Recht nach dem Krieg. Hier geht es v.a. um die Frage, wie der Sieger nach dem Krieg mit dem Besiegten verfährt. Gerecht ist, wenn der Besiegte nach dem Krieg das Recht auf Selbstorganisation wieder zugesprochen bekommt. Die Frage ist nur, nach wessen Vorbild diese Selbstorganisation geschehen soll – nach der des Siegers?[5]
Ich denke es ist deutlich, dass alle drei Kriterien hochgradig interpretationsbedürftig sind und lediglich Normen mit letztlich beliebiger Verbindlichkeit darstellen. Das Fazit muss lauten: Ein Krieg kann durch Definition eines gerechten Grundes, eines gerechten Verhaltens und einer gerechten Intention niemals de facto gerecht werden. Auch kann er durch diese Gründe niemals gerechtfertigt werden; im Gegenteil, der Kriegführende macht sich, wenn er Gewalt gegen andere Menschen anwendet immer schuldig und keine noch so subtile Argumentation nimmt ihm die Verantwortung für sein Tun ab! Dies gilt auch für die beschönigende Rede von einer „humanitären Intervention“, die in der UN seit 1992 üblich ist. Der Begriff ist nicht nur selbstwidersprüchlich – als ob eine gewaltsame Intervention „human“ sein könnte – sondern suggeriert auch, dass es sich um etwas anderes handeln würde als einen Krieg, das ist aber faktisch nicht der Fall!

Zur Legitimation des Krieges mit Berufung auf die göttliche Ordnung: Augustin und Luther
Dennoch werden Kriege überall und immer – und zumeist von beiden Seiten – als gerechte Kriege bezeichnet und damit gerechtfertigt. Niemand würde von sich behaupten, einen ungerechten Krieg zu führen. Bevor wir uns den Argumentationen von George W. Bush und Osama bin Laden zuwenden, möchte ich einige Anmerkungen zur Legitimation des Krieges unter Berufung auf die göttliche Ordnung beim Kirchenvater Augustin (4. Jh.) und bei Martin Luther (16. Jh.) machen.

Augustin
Im 19. Kapitel seines monumentalen Werkes De civitate Dei, diskutiert Augustin die Frage des wahren Friedens. Augustin definiert: „So besteht denn der Friede zwischen dem sterblichen Menschen und Gott in dem geordneten gläubigen Gehorsam gegen das ewige Gesetz […] der Friede aller Dinge in der Ruhe der Ordnung. Ordnung aber ist die Verteilung gleicher und ungleicher Dinge, die jedem den gebührenden Platz anweist.“ Wer aber diese Ordnung verlässt, „muss durch Worte oder Schläge oder ein anderes gerechtes und erlaubtes Mittel […] gestraft werden, und zwar zum eigenen Nutzen, damit er der Friedensordnung, die er verlassen, wieder eingefügt werde.“ „Mit Friedensabsicht werden also auch die Kriege geführt“, denn sie dienen eben dazu Menschen wieder der göttlichen Ordnung einzufügen. Nach Augustin ist der Krieg – als Ausdruck von Liebe! – genau dann geboten, wenn er dazu dient Menschen, die von der göttlichen Ordnung, d.h. vom rechten Glauben, abirren, wieder zum wahren Glauben zurückzuführen. Damit finden wir bei Augustin nicht nur eine Argumentation grundgelegt, die sich durch die ganze Menschheitsgeschichte bis hin zu Osama bin Laden zieht, sondern auch die Verknüpfung der Lehre vom gerechten Krieg mit der Idee einer in der Welt von Gott grundgelegten Ordnung, gegenüber der alle Menschen verpflichtet sind. Luther greift diese Argumentation in seiner Kriegspropaganda gegen die Türken und das Papsttum pointiert auf.

Luther
Das 16. Jh. war eine Zeit religiöser Umbrüche, sozialer Erschütterungen und staatlicher Machtkämpfe. Die sich abzeichnende konfessionelle Spaltung Europas führte zu jahrzehntelangen Religionskriegen, während von Osten die beständige Gefahr türkischer Eroberungszüge drohte. Die Bibel mit ihren apokalyptischen Visionen über das Weltende bot hier willkommene Verständnis- und Interpretationshilfen. So wurde die Welt zum Schauplatz des Endkampfes zwischen den kosmischen und chaotischen Mächten, zwischen dem Reich Christi und dem Reich des Teufels. Auch Luther war von diesen apokalyptischen Erwartungen nicht ausgenommen und rechnete fest damit, dass das Jüngste Gericht in naher Zukunft über die Welt hereinbrechen würde. Der Teufel war für ihn kein Sinnbild, sondern eine konkrete Gestalt. Vor diesem Hintergrund ist seine Haltung zum gerechten Krieg zu betrachten, von der wir hier nur die Position des späten Luther anreißen können. Hatte er anfangs ausschließlich – unter Berufung auf das Gebot der Feindesliebe– den Verteidigungskrieg im faktischen Angriffsfall als gerechten Krieg gelten lassen, behauptete er später, dass er auch eine konkrete Bedrohung der göttlichen Ordnung ein legitimer Kriegsgrund sei. Dabei waren es im Wesentlichen zwei Fronten gegen die er sich wandte: Zum einen der Papst, in dem er einen vom Teufel besessenen Tyrannen bzw. den Teufel selbst zu erblicken meinte, der jetzt auf Erden auftrete, um den Endkampf gegen das Reich Gottes zu führen und zum anderen die Türken, die Handlanger des Teufels seien. Luther schreibt: „Der Papst ist der geistliche Antichrist und der Türke ist der fleischliche Antichrist.“[6] „Denn die zwei Reiche, des Papstes und der Türken, sind die letzten zwei Greuel und Gottes Zorn […] Und beide müssen miteinander ergriffen und in das ewige Feuer geworfen werden.“[7] Noch stärker als Augustin interpretiert Luther seine Gegenwart in den Kategorien von göttlicher Ordnung (Kosmos) und dem Reich des Teufels (Chaos) und noch mehr als jener erwartet er einen letzten Entscheidungskampf zwischen diesen Mächten, an dem die Menschen – natürlich – auf der Seite Gottes teilzunehmen haben. Dass dieser Krieg – der sich konkret gesprochen gegen das Papsttum, d.h. die Katholische Kirche und die Türken, d.h. den Islam richtet – ein gerechter Krieg ist, bedarf bei dieser Interpretation keiner weiteren Begründung. Bei Luther begegnet uns nicht zum ersten Mal, aber in pointierter Form eine Argumentation, wie sie für die gegenwärtige Begründungsdebatte sowohl des islamistischen Terrorismus, als auch den amerikanischen „war on terror“ prägend ist: Die Inanspruchnahme einer absoluten Gerechtigkeit, aus der heraus alles eigene Handeln gerechtfertigt wird und die Entmenschlichung und Dämonisierung des Gegners mit apokalyptischen Begriffen, womit diesem ein Recht auf menschenwürdigen Umgang abgesprochen wird. Nur am Rande sei erwähnt, dass die katholische Kirche Luther in gleicher Weise „verteufelte“.

Aktuelle Argumentation
„Denn dem Staat der Gottlosen fehlt nun einmal die wahre Gerechtigkeit.“ Und „wo keine Gerechtigkeit, da auch kein Staat. […] aber wer sich selbst der Herrschaft Gottes, der ihn geschaffen, entzieht und bösen Geistern dient, sollte jener gerecht sein?“ Auch wenn Augustin diese Worte vor über 1600 Jahren geschrieben hat, so wären sie dennoch eine treffende Überschrift über die zwischen Bush und Bin Laden geführte Debatte über die jeweilige Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens.

George W. Bush
Im Oktober 2001 ermutige der US-Präsident Soldaten mit den folgenden Worten: „You're among the first to be deployed in America's new war against terror and against evil, and I want you to know, America is proud, proud of your deeds, proud of your talents, proud of your service to our country.” In Hinblick auf die jenigen, die für diesen “new war against terror and against evil” verantwortlich sind, sagte Bush: “The men and women who murdered them [die Opfer der Anschläge vom September 2001] were instruments of evil, and they have died in vain.” Der Präsident beeilte sich jedoch den Feind genauer zu benennen. So sei nicht irgendeine Religion der Feind der Vereinigten Staaten, denn: “The evil ones have tried to hijack a religion to justify their murder. But I want to assure the people of the world that our military fights not against Muslims or fights not against the Islam religion; we fight against evil people. […] We fight against people who have no country, no ideology; they're motivated by hate.” An die Adresse der Amerikaner gerichtet sollte Bin Laden drei Jahre später sagen: „Der Staatsterror heißt Freiheit und Demokratie, und der Widerstand heißt Terrorismus und Opposition.”[8] Der Präsident hingegen beendete seine Rede mit der typischen Gottesanrufung: “May God bless -- (applause) -- may God bless the men and women who wear our uniform. May God protect this great land. And may God bless America.”
Gegner des „war on terror“ ist für Bush also nicht ein Staat, nicht eine Religion, ja nicht einmal eine klar abgrenzbare Gruppe von Menschen. Vielmehr richtet sich der Krieg gegen „the evil ones“, gegen jene, die „no country, no ideology“ haben, die also nicht zivilisiert sind, sondern ausschließlich vom Hass motiviert seien. Es bleibt fraglich, inwiefern der Gegner hier überhaupt noch als Mensch erscheint. Und de facto gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Bush genau diese Entmenschlichung des Gegners erreichen will, denn wenn sich der Krieg gegen Menschen im uneigentlichen Sinne richtet, dann braucht denen kein Kriegsgefangenstatus zugesprochen werden, muss nicht auf die Genfer Konventionen Rücksicht genommen werden und überhaupt lässt sich ein solcher Krieg sehr einfach rechtfertigen, da dem Gegner jegliche rationale Absicht und damit jegliche Verhandlungsfähigkeit von vornherein abgesprochen wird. Es dürfte also Methode haben, dass Bush öfter als jeder andere US-Präsident den Begriff „evil“ im Munde führt. Angefangen hat mit dieser „Verteufelung“ des Gegners übrigens Nixon in den 1980er Jahren, der „evil“ als Synonym für „Ostblock“ in zweifelhafter Weise populär machte.
Was Bush vermitteln möchte ist eine einfache schwarz-weiß Dichotymie: Das gute Amerika vernichtet mit Gottes Unterstützung das Böse in der Welt – Ordnung gegen Unordnung – Kosmos gegen Chaos. Wer hier gerecht und im Recht ist, bedarf keiner weiteren Erklärung! Die amerikanische Kriegspropaganda bewegt sich ganz in den Kategorien Augustins und Luthers.

Osama Bin Laden
Und Osama Bin Laden? Wie rechtfertigt er seinen Dschihad? Zunächst ist seine Ideologie keineswegs die platte Art des reinen Zerstörungswillens, wie Bush et. al. ihm unterstellen möchten. Im Gegenteil argumentiert Bin Laden seinerseits damit, dass er einen Verteidigungskampf gegen die Angriffe und Eingriffe der USA in die gottgewollte Ordnung führe. Schon im August 1996 schrieb er an die Adresse der Amerikaner: „Jeder von euch weiß, welche Ungerechtigkeit, welche Unterdrückung, welche Aggression die Muslime von Seiten des Bündnisses der Juden und Kreuzfahrer und seiner Lakaien erleben.“[9] Im Mai 1995 führte er die „Ungerechtigkeit“ und „Aggression“ der „Kreuzfahrer“, also der westlichen Staaten, näher aus: Mit Blick auf die Zustimmung des saudischen Königshauses, US-Truppen zum Schutz gegen den Irak im eigenen Land zu stationieren, sagte er in einem Interview mit CNN: „Mit der Unterwerfung des saudischen Regimes unter die Vereinigten Staaten und seiner Allianz mit ihnen wurde eine große Sünde gegen den Islam begangen, denn die Regierung der Menschen hat die Regierung Gottes ersetzt, wohingegen man doch einzig und allein nach dem geoffenbarten Gesetz regieren darf.“[10] Man denke an Augustins Argumentation, dass dort, wo nicht nach der Ordnung Gottes gelebt wird kein Staat, nichtmal eine Volksgemeinschaft sei. In einem Interview mit Al-Dschasira im Dezember 1998 rief Bin Laden deshalb „die internationale muslimische Gemeinschaft“ auf, „unser Land zu befreien und einen Heiligen Krieg für die Sache Gottes zu führen, damit das geoffenbarte Gesetz herrsche und das Wort Gottes siege.“[11] Bin Ladens Ziel sei es, „das Land des Islam vom Unglauben zu befreien und das Gesetz Gottes anzuwenden.“[12] Und schon drei Jahre bevor Bush den Krieg gegen „the instruments of evil“ aufrief, schrieb Bin Laden in der „Erklärung der Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen die Juden und Kreuzfahrer“: „Wir [die Islamische Front] rufen […] auf, die amerikanischen Soldaten des Satans und ihre Verbündeten, Ausgeburten des Satans, anzugreifen und zu verjagen.“[13] Gerechtfertigt wird dieser Kampf mit dem jedem Menschen von Gott gewährten Recht auf Widerstand gegen einen Unterdrücker: „Lob sei Gott, der das Universum geschaffen hat für Seine Geschöpfe, der ihnen befohlen hat, gerecht zu sein, und dem Unterdrückten erlaubt hat, sich am Unterdrücker zu rächen.“[14] Im Mai 2005, etwa ein Jahr später behauptete Cordoleezza Rice vor US-Soldaten in Bagdhad: „This war came to us, not the other way around.“ Parallelen zwischen den Argumentationen finden sich schließlich auch in der Anrufung Gottes um Beistand im Kampf. So schreibt Bin Laden in der „Erklärung des Heiligen Krieges“ 1996: „Gott ist der Größte! Heute kämpfen wir von diesen Gipfeln aus dafür, das Unrecht zu tilgen, das der muslimischen Nation von der Koalition der Juden und Kreuzfahrer zugefügt wurde […]. Wir hoffen, daß Gott uns den Sieg schenken wird, denn Er hat die Macht darüber und hält ihn in Seinen Händen.“[15]
Schluss
Ich belasse es bei dieser Darstellung, wir können sie in der Diskussion wieder aufgreifen und möchte mit einem Zitat Augustins schließen: „Auch die, welche den Frieden, in dem sie leben, stören wollen, hassen ja nicht den Frieden als solchen, sondern wollen nur einen anderen, der ihren Wünschen entspricht.
[1]Dass wir, wenn wir diese Bestimmungen aus sich heraus verstehen wollen, nicht umhin kommen, ihren historischen Offenbarungskontext zu betrachten, ist, wie auch beim atl. Gesetz eine Selbstverständlichkeit. Ihrem Selbstverständnis als überzeitlich und damit übergeschichtlich gültigen göttlichen Bestimmungen werden wir dabei hingegen nicht gerecht. Beide Ebenen sind strikt voneinander zu trennen!
[2]Allenfalls angemessen dürfte der Begriff hinsichtlich der persönlichen Motivation von Selbstmordattentätern sein, sofern für diese der Krieg Zweck in sich ist, sich das Paradies zu verdienen.
[3] Natürlich ist dieser causa iusta, dieser gerechte Grund zum Krieg, interpretierbar; man denke nur an die Argumentation der US-amerikanischen Regierung einen Präventivkrieg gegen den Irak führen zu müssen, da dieser sonst seine angeblichen Massenvernichtungswaffen einsetzen würde. Der gerechte Kriegsgrund bestand dieser Argumentation nach also darin, dass durch den Krieg größeres Übel verhindert werden würde. Das ius ad bellum liefert somit sicherlich kein objektives Kriterium wann ein Krieg ein gerechter Krieg ist. Ich sage dies noch ungeachtet der Frage, ob es überhaupt einen gerechten Krieg geben kann.
[4] Der beschönigende Sprachgebrauch sog. „chirurgischer Waffen“, also solcher Waffen, die ihr Ziel mit höchster Präzision treffen können sollen, soll diesem Kriterium Rechnung tragen, indem er suggeriert, dass nur diejenigen getötet werden, die es auch verdient haben.
[5] Für den US-Krieg im Irak ist die Antwort einfach. So argumentierte z.B. Condoleeza Rice im Mai 2005 während einer Rede in der amerikanischen Botschaft in Bagdad: „And we had to have a plan to work with people in the Middle East who wanted a different kind of life. […] And our children and our children's children will look back and they will say we are so grateful that there were Americans willing to sacrifice so that the Middle East could […] free and democratic and at peace […].“
[6] WAT 1, 330.
[7] WA 51, 620. Beide Zitate übersetzt bzw. eingedeutscht.
[8] „Botschaft an das amerikanische Volk“, 30.10.2004.
[9] „Erklärung des Heiligen Krieges gegen die Amerikaner, die das Land der beiden heiligen Städten besetzen.“ 23.08.1996.
[10] „Interview mit CNN“, 12.05. 1997.
[11] „Interview mit Al-Dschasira“, Dezember 1998.
[12] „Interview mit Al-Dschasira“, Dezember 1998.
[13] „Erklärung der Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen die Juden und Kreuzfahrer“, 23.02.1998.
[14] „Botschaft an das amerikanische Volk“, 30.10.2004.
[15] „Erklärung des Heiligen Krieges gegen die Amerikaner, die das Land der beiden heiligen Städten besetzen.“ 23.08.1996.

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